In Love With: Sicker Man – The Missing
Alle Berliner Bands und Musiker zu kennen, ist in etwa so aussichtsreich, wie in allen Berliner Bars und Cafés mal einen getrunken zu haben. Es sind einfach zu viele. Dabei entgeht einem zwangsläufig auch etwas. So schäme ich mich ein bisschen, noch nie etwas von SICKER MAN gehört zu haben. Dabei macht Tobias Vethake schon seit fast anderthalb Jahrzehnten unter diesem Namen seine Platten, auf denen er das Ziel verfolgt, nicht das zu machen, was alle anderen auch machen.
Nun ist eine neue erschienen, die heißt „The Missing“ und ist nach eigener Aussage von Kafkas „Der Verschollene“ inspiriert. Ich muss mich erst noch ins Schaffen des ziemlich produktiven Musikers einfinden, aber dem ersten Eindruck nach ist die neue Scheibe seine beste. „Noise Folk“, „Post Rock Kraut“ und ähnlich hat er seine Songs auf Soundcloud getaggt; ein Versuch zu beschreiben, was eigentlich kaum zu beschreiben ist. Da sind fantastisch komponierte Songs wie „Grace“, die sanft beginnen, sich zum opulenten Finale steigern und in verzerrten Noise-Flächen enden. Obgleich Vethakes Gesang, wunderbar ergänzt von seinem weiblichen Counterpart Kiki Bohemia, durchgehend sanft ist, ist er nicht weniger eindringlich. Gerade wenn die Arrangements drumherum solch abenteuerliche Laut-Leise-Kapriolen schlagen. Man nehme nur die Single „Dated“ oder „Turning The Page“: Auf jeden Moment der Stille folgt ein von stoisch geschlagenen Drums vorwärts getriebener Verzerrer-Ausbruch, neben dem klassischen Pop- und Klassikinstrumentarium schwebt stets irgendwo eine vollkommen undefinierbare Soundfläche ins Klangbild. Die Dynamik ist dem Thema angemessen, so wie sich bei Kafka das Individuum zwischen gesellschaftlichen Erfordernissen und anderslautenden eigenen Wünschen befindet, so wird die Zartheit der Songentwürfe immer wieder von der klanglichen Wucht der Arrangements hinweggefegt. Es lohnt sich, dieses Album mit voller Aufmerksamkeit zu hören. Und laut.
Weil ihr gute Menschen seid, die gute Musik gerne unterstützen, bezieht ihr „The Missing“ direkt auf Sicker Mans Bandcamp-Seite. Dort kann man es sich natürlich auch in voller Länge anhören.